Montag, Oktober 10, 2005

chaospraxis

ich werde in die annalen dieser reise als der tempelverweigerer eingehen, oder, wie die indianer zu sagen pflegen "he-who-denies-watching-stone-crumpling-in-the-sun".
hier wie zu haus sind mir tote gemaeuer eher schnurz, obwohl man den indern zugutehalten muss, dass sie ihre tempel wenigstens in wuerde verrotten lassen, wenn keiner mehr hingeht.

wie auch immer... ich hab festgestellt, dass zumindest die fahrten zu den tollen steinen immer recht interessant waren.
und so nehme ich in trichy in einem bus platz, der uns angeblich nach tanjavur bringen soll, wo einer der wichtigsten hindutempel suedindiens steht.

auf der hatz durch die verschlissene stadt fuellt sich der bus mit reiselustigen, wir sind gut versorgt mit einem dvdplayer, der tamilische kinokunst in das gefaehrt hineinschreit. gespannt verfolge ich die dramatische geschichte eines achimmenzelartigen jungen mannes, der gerade voller herzschmerz eine ebenso pausbaeckige schoene sitzenlaesst, weil sein intriganter freund intrigiert, dass sie ... naja, ich denke die geschichten aehneln sich alle irgendwie, nur dass hier in tamil nadu alle filmstars dick sind und schnurrbart tragen. leider muss ich aussteigen, bevor der tragische irrtum aufgeklaert werden kann.

interessanter wird die fahrt vom busbahnhof zum tempel hin. wieder einer der blechkaesten, allerdings ohne dvd. man wuerde eh nichts sehen, denn der bus ist sofort rammelvoll. gluecklich ist, wer einen fensterplatz hat... denn da gibt es frische, bewegliche luft. wir sind gluecklich und tauchen tief rein in das lustige land. anscheinend nimmt der inder, etwa wie eine schlange, am besten sich bewegende objekte wahr, denn die meisten leute steigen ein, wenn der bus schon wieder losgefahren ist. ein- und aussteigen findet grundsaetzlich zugleich statt. alte, junge, einjeder draengt sich seines weges, einjeder kommt da an, wo er hinwill und es faellt nicht mal ein boeser blick in dieser runde. ich beginne mich zu fragen, was diese leute anders machen als wir.

als der bus fuer meine begriffe voellig ueberfuellt ist, steigt noch eine komplette schulklasse kichernder maedchen zu. die passen natuerlich nicht in den bus und der haelt ebenso natuerlich nicht so lang, bis alle reingequetscht sind. eine kleine traube von fuenf jungen damen bleibt draussen an der bustuere haengen. mit vereinten kraeften ziehen sie sich in das gefaehrt hinein, wenn jeder fahrgast noch ein klein wenig zusammengequetscht wird, dann ist auch noch platz fuer fuenf weitere.

und, man glaubt es nicht, es geht der schaffner durch und kassiert alle ab. ein schlangenmensch, der sich durch die kleinste ritze zwaengt dabei den ueberblick behaelt, welche der etwa 100-150 sardinen noch nicht bezahlt hat. ich bin fasziniert.

neben mir sitzt einer, der ganz viele freunde hat, denn alle moeglichen leute stellen ihre sachen auf seinen schoss. bald hat er eine aktenmappe, eine grosse tuete und ein koerbchen mit thermoskanne und brotbuechse auf dem schoss.
was es damit auf sich hat, begreife ich, als ich meinen sicheren hafen verlasse. hier findet nix statt, ausser dass ich meine ruhe habe. ich muss hinein in die inder. da ich nicht weiss, wo wir aussteigen und auch nicht, wie lange ich fuer die ca. 3meter bis zum ausgang brauchen werde, knautsche ich mich an meinem sitznachbarn und seinem gepaeck vorbei. jetzt begreife ich, warum hier keiner ausser mir ne fotoausruestung und so kram mit sich rumschleppt, das braucht keiner, das passt nicht in den bus. im bus gibt es nur die option arme hoch oder arme runter, gepaeck wird, moeglichst spaerlich, einem sitzenden in den schoss gelegt, der das mit freundlichem gleichmut auf sich nimmt, bis man aussteigt.

beim aussteigen (man faengt etwa drei stationen vor dem ziel damit an) gelingt mir auch in etwa der positive druck, mit dem man die masse zerteilen muss und mit einem hoerbaren "plop" stehe ich auf der strasse.

der tempel ist ein tempel ist ein tempel ist wenigstens noch in betrieb. man sieht die leute beten, man kommt sich ein wenig komisch vor, wenn man mit fotoapparat auf dem heiligtum herumlungert und eigentlich gar nicht weiss, was los ist. aber die hindus sind nicht so pampig mit ihrer religion. in diesem gotteshaus darf man sogar froehlich sein. ich sehe keinen in gekuenstelter ehrfurcht auf die knie sinken, klein werden und sich schlimm vorkommen vor dem grimmigen gott. ich hab vielmehr das gefuehl, dass die leute hier spirituell etwas mehr auf dem kasten haben und sich dabei sehr wohl fuehlen. nanu, das gibts?

ist da vielleicht ein gewisser unterschied zwischen dem tanzenden shiva und dem ordentlich festgenagelten jesus christus auszumachen?
hier springen ueberall laermende kinderbanden rum, die leute wirken gutgelaunt und aus einem riesigen lautsprecher leiert ein lustig - psychedelischer dudelsong ueber den platz, der nur eine textzeile hat und ununterbrochen shiva willkommenheisst.

die leute orten unsere kameras und fortan muessen wir ununterbrochen familien mit kahlgeschorenen koepfen (auch das hierzulande wesentlich angenehmer) fotografieren, die ganz und gar stolz drauf sind, dass sie ihre haare geopfert haben.

rueckfahrt im tuctuc zum busbahnhof. es ist selbstverstaendlich, dass der fahrer dir noch sagt, wo und wann dein bus faehrt. die sonne geht unter und ich habe wieder einen platz am fenster bekommen. der gut gestopfte bus rast in die nacht hinaus und zerteilt die biomasse mit seiner gewaltigen hupe. ein maechtiges instrument mit zwei toenen, einen hohen, der eine riksha in der mitte durchsaegen kann und einem tiefen, der alles im umkreis von 50 metern pulverisiert. ich lasse mir den warmen fahrtwind ins gesicht fahren, mache die augen zu und denke nach...

ueber das gewimmel da draussen, wie alles aufeinander zu und dann doch nicht zusammendonnert, darueber, dass das chaos das einzige ist, was voellig reibungslos und absolut wartungsfrei funktioniert. wie es wabert und zergeht, wie darin muster entstehen, wie zum beispiel das unbegreifliche tun des busschaffners, der wild mit scheinen und fahrkarten fuchtelt, schreit und dazwischen immer wieder zusammenhangslos in seine trillerpfeiffe stoesst... regelmaessigkeiten, so komplex und fluechtig, dass niemand sie erst ausdenken und konzipieren kann...

ich meine zu erkennen, dass zweifel am besten auf dem harten grund einer gewissen klarheit gedeiht, dem beton der seele. und was es bedeuten mag, weich zu bleiben und mitzufliessen, statt immer nur loszurammeln und anzuecken...

vielleicht sollten wir alle jeden tag ein klein wenig verwirrung stiften. am besten in den armseligen minuten, die man sonst der ewigen frage nach dem sinn des lebens opfert.

1 Comments:

Anonymous Anonym said...

Vielen Dank fuer die unterhaltsamen Beutraege. Wir werden sie vermissen. Morgen seid Ihr wieder da und das ist auch schoen! Guten Flug!

11:14 AM, Oktober 11, 2005  

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