Mittwoch, Oktober 12, 2005

a sweet take off

das beste kommt bekanntlich zuletzt. wir reisen spät nachts in strömendem monsunregen ab. der kellner in unserem frühstücksrestaurant hat eingeladen, noch ein wenig mit ihm zusammenzusitzen und wir nehmen gern an, sitzen bis das taxi schon vor der tür steht und radebrechen über gott und die welt. (hier ist das wörtlich zu nehmen)

manik ist 24, raucht und trinkt ein bißchen schnaps, weil wir jetzt nicht mehr als seine gäste vor ihm sitzen, sondern als freunde. er ist sehr sympatisch und unser kleines zusammensitzen in der leeren kneipe wird später für mich eine der schönsten und innigsten erfahrungen dieser reise sein. gespannt höre ich was ihm wichtig ist im leben. an gott glauben und hart arbeiten. klipp und klar kommt es aus ihm raus. ich mag das, es ist einfach und man muß sich nicht erst selbst finden, selbst definieren oder gar höchstselbst verwirklichen...

er lebt hier in mahaballipuram bei seiner familie, war schon mal vier jahre lang auf pilgertour bis hoch in den himalaya, wo die leute seiner meinung nach herzlicher sind als hier an der küste, ist aber wieder da, weil seine familie wichtig und die geschäfte mit den mahaballipuramer steinmetzmännchen schlecht gehen.
er trinkt ein bißchen mehr und erzählt, wie traurig er es findet, daß man hierzulande nur nach seinem vermögen beurteilt wird. das gute alte hastewas bistewas. wir sind da schon etwas weiter, wir haben das understatement erfunden für alle, die von viel genug oder einfach nur zu wenig haben.

wir erfahren noch, nach ein paar weiteren schluck, daß man hier in mahaballipuram viel schnelles geld machen kann. es seien vor allem die holländer, die hier männer kaufen und kinder. es gibt auch kinderheime, die sich auf die herstellung von filmen spezialisieren und der weiße mann kommt und kauft das fleisch und wirft die seelen weg. ich verstehe ein paar dinge mehr, über die ich mich gewundert habe, wenn ich abends durch die straßen gelaufen bin. und ich muß zugeben, daß wir in diesem punkt nur insofern weiter sind, als daß wir die sind, die hierherkommen.

manik hat seine seele noch, aber man ahnt, wie schwer das geld wiegt, das er dafür bekommen würde. und deshalb trinkt er noch ein wenig weiter. zum abschied verspricht er mir aber, damit aufzuhören, mit dem trinken gegen die traurigkeit. ich hoffe, er schreibt uns mal, ich habe im aufbruch leider vergessen, ihn um seine adresse zu bitten.

draußen im regen wartet das taxi. buntbeschmiert mit farbe, am kühler zwei bananenpflanzen festgebunden, bildet der riesige weiße wagen mit seinem kutscher, einem etwa 70 jährigen spillerigen männchen einen ausgesprochen absurden anblick. ich glaubs erst gar nicht, bis der greis hinter dem lenkrad platznimmt. unser hotelmanager erteilt ihm noch anweisungen, deutet zum fenster herein auf die verschiedenen bedienelemente. dies rad hier, väterchen, hat nur entfernt etwas mit karma zu tun. das inkarnieren verschieben wir auf ein andermal, und zwar mit diesem hebel dort. und wenn es probleme gibt, dann rufst du mich mit diesem handy an.
der alte ist sichtlich hocherfreut und es scheint, daß er nach dem heutigen sariswatifestival schlicht der einzige war, der noch auto fahren konnte. sie wackeln beide zufrieden mit den köpfen und los geht unsere kuriose prozession.

wir winken noch eine weile in den regen, manik aus dem nautilus, die freundlichen leute aus dem greenwoods, die schöne zeit in mahaballipuram...

dann biegt der wagen in die hauptstraße ein und wir schlingern gemächlich in die nacht hinaus. der regen verschleiert die sicht, die beiden bananenpflanzen flattern im wind und unser kleiner kutscher rotzt immerzu zum fenster raus. und wenn ich sage "rotzen", dann meine ich nicht 't' machen, wie wenn man etwas auf der zungenspitze loswerden will, sondern ein langes, urschreiartiges ganzkörpergeräusch, als ob einem was auf der bauchspeicheldrüse liegt. und wenn ich sage "immerzu", dann meine ich alle hundert meter. fünfhundertmal mal also auf der strecke zum flughafen. und fünfhundertmal kommt dabei unsere kleine reise gefährlich ins schlingern. aber das macht nichts, denn eigentlich schlingern wir immer. wenn er schaltet, wenn er hupt, wenn er die scheibe abwischt mit seinem riesigen taschentuch, wenn er sich umdreht um uns fröhlich anzulachen und ganz besonders, wenn ein auto entgegenkommt. dann schlingert er so sehr, daß er fast anhalten muß.
wir haben zeit und teilen seine gute laune, denn es ist ein gar zu grotesker anblick.
an der mautstation versucht er uns noch zu betrügen, will die maut, die wir im voraus schon im hotel bezahlt haben, noch mal kassieren. es gibt geschimmpfe und wir versuchen ihn dazu zu bringen, den hotelmanager mit dem handy anzurufen. immerhin weiß er, daß man den sprechenden stein ans ohr halten und etwas zu ihm sagen muß...

die situation klärt sich, weil die kassierer an der station ungeduldig werden und der alte selbst zahlen muß, damit es endlich weitergeht. wir stellen nach und nach fest, daß der fahrer unseres vertrauens weder englisch noch richtig autofahren noch telefonieren kann und außerdem anscheinend kaum was sieht.
er findet immerhin madras, die hauptstadt, verfehlt aber beim einbiegen auf die stadtautobahn die dafür vorgesehene lücke im mittelstreifen. eine kurze schweigeminute lang stehen wir quer auf der autobahn und sehen den verkehr durch den regen auf uns zurasen, dann reißt er das steuer herum.

am flughafen laufen wir schnell mit unseren rucksäcken davon, und lassen den kleinen kutscher zurück, der immer noch anstalten macht, die maut von uns zu kassieren.
jetzt heißt es warten, einchecken, auschecken, drei flüge und zwanzig stunden lang auf den flughäfen dieser welt herumlungern. der freundliche beamte am sicherheitscheck möchte ein bißchen mit uns schwatzen und erwischt mich eiskalt mit der frage, wer der deutsche kanzler sei.

ich weiß es nicht und es ist mir egal.